Von der Kulturnation zur Zwangsnation

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Der Begriff der Kulturnation beschreibt eine nationale Identität, die vor allem auf einer gemeinsamen Kultur baut. Den Kern bildet dabei die gemeinsame Weitergabe von Kulturwerten über die Generationen hinweg. Das kulturelle Band wird in den Familien und zwischen den Generationen immer weiter geflochten. Eine solche Schicksalsgemeinschaft kann eine sehr stabile Kulturtradition begründen. Dabei verleiht die geteilte Herkunft der gemeinsamen Identität auch einen familiären Aspekt, der wiederum die Grundlage für Solidarität darstellt.

Die Anfänge der Kulturnation Deutschland liegt im Frankenreich, das von Karl dem Großen geeint und vollständig christianisiert wurde. Der Grundstein einer deutschen Identität wurde also auf christlicher Ebene gelegt. Im 10. Jahrhundert bildete sich unter Heinrich dem Deutschen im Ostfrankenreich ein Nukleus des späteren Deutschlands. Sein Sohn und Thronfolger Otto der Großen schlug 955 die ungarische Invasion zurück und einte dadurch auch das Reich nach Innen. Die gemeinsame Sprache und Herkunft sowie der christliche Glauben verfestigten sich mit solchen Abwehrkämpfen auch politisch zu einer deutschen Identität.

So entstand ein Reich, das sich sowohl als römisch-christlich wie auch als deutsch betrachtete und beinahe eintausend Jahre lang existierte, bis Napoleon ihm ein Ende bereitete. 1806 trat unter französischer Vorherrschaft ein Rheinbund zusammen, dem alle deutschen Staaten außer Österreich und Preußen beitraten. Der Zerfall des Reiches führte zum Aufstieg Preußens, das sich durch massive Reformen zügig vom absolutistischen Bauernstaat zum modernen bürgerlichen Verfassungsstaat entwickelte. Hier lag die Geburtsstunde der modernen deutschen Identität, die sich zuerst in den Befreiungskriegen gegen die französischen Besatzer äußerte.

Das neue bürgerliche Nationalbewusstsein gab sich in der gescheiterten Märzrevolution 1848/49 erstmalig die Farben Schwarz-Rot-Gold. Die Vereinigung kam dennoch erst 1871 von oben, als Otto von Bismarck im Spiegelsaal von Versailles mit Blut und Eisen ein neues Deutsches Kaiserreich unter preußischer Führung schmiedete. Dies markierte den Beginn einer glorreichen Schaffenszeit, in welcher der deutschen Identität vom Kölner Dom über die Regensburger Walhalla bis hin zur Kunst und Literatur bedeutende Denkmäler gesetzt wurden.

Der Zusammenbruch des Reiches, die unrühmliche Weimarer Republik und schließlich der Nationalsozialismus beendeten diese glorreiche Geschichte, von der 1945 ein Großteil in Ruinen lag. Es stellte sich die Frage: Gibt es ein weiter? Und wenn ja, wie?

Während die DDR unter sozialistischer Diktatur einen gewissen erzwungenen Nationalismus verfolgte, ohne jedoch das Volk für sich zu gewinnen, wurde das Nationalbewusstsein der Deutschen ab 1949 in der Bundesrepublik weitergetragen. Deren frühe Kanzler, vor allem Konrad Adenauer, gingen selbstverständlich von einem ethnischen Volksbegriff aus und sprachen häufig vom deutschen Volk und Vaterland. Der Christdemokrat Adenauer würde von heutigen deutschen Regierungen als Verfassungsfeind und völkischer Nationalist eingestuft werden. Und auch nach ihm herrschte bis 1990 in der Bundesrepublik ein unangefochtenes Verständnis von Deutschland als ethnisch gebundener Kulturnation.

Doch es gab immer stärkere Risse unter der Oberfläche, die nach 1990 sichtbar wurden und sich spätestens in den 2000er-Jahren während der Regierungszeit Angela Merkels offen zeigten. Anstelle der Kulturnation mit ihrem ethnischen Volksbegriff verfolgten die deutschen Eliten in Politik und Medien nun den Plan, Deutschland in eine multikulturelle Willensnation umzubauen. Begriffe wie »Vaterland« und »deutsches Volk« wurden aus der Öffentlichkeit entfernt und immer häufiger nur mit negativen Anlässen und Schuldfragen in Verbindung gebracht.

Ein solcher Umbau zur Willensnation kann auch Vorteile mit sich bringen. Zumindest theoretisch hat er beispielsweise ein hohes Integrationspotenzial. Aber angesichts der wirklich existierenden Verhältnisse in der Bundesrepublik kann man spätestens seit 2015 sagen, dass auch diese Vorteile nicht verwirklich wurden. In der Realität ist der Staat überfordert, teure Integrationsprogramme sind gescheitert, und in Deutschland bilden sich vor allem in Großstädten immer mehr Parallelgesellschaften entlang kultureller und religiöser Linien. Die Kulturnation wurde aufgegeben, um eine Willensnation zu schaffen, die aber keine wirkliche Integrationskraft besitzt. In diesem Sinne ist der Umbau gescheitert.

In der real existierenden multikulturellen Bundesrepublik gibt es eine staatliche Identität und kulturelle Subidentitäten. Die staatliche Identität ist an materielle Umstände wie Wohlstand und soziale Sicherheit gebunden, sie verzichtet jedoch bewusst auf einen kulturellen Kern, um niemanden auszuschließen. Die Subidentitäten sind ethnisch gebunden, so wie zum Beispiel deutsche Staatsbürger türkischer Abstammung sich als ethnische Türken identifizieren. Wenn der Staat seine materiellen Versprechungen in Krisen nicht mehr erfüllen kann, greifen die Menschen auf ihre Subidentität zurück.

In den USA, der ältesten und musterhaften westlichen Willensnation, zeigte sich dies etwa an den Black Lives Matter - Protesten, die sich zunehmend radikalisierten und gewalttätig wurden. In einer Zeit der Krisen und Umbrüche identifizieren sich Afroamerikaner stärker mit ihrer ethnischen beziehungsweise rassischen Abstammung als mit der Gesamtnation, wodurch sich wiederum konservative Weiße bedroht fühlen und in ihren Nachbarschaften verschanzen. Wir sehen, wie die Nation in verschiedene ethnische und kulturelle Identitäten zerfällt, sobald der nationale Gemeinwille an Bindungskraft verliert.

Die Regierungen des Westens und insbesondere der Bundesrepublik antworten auf diesen Zerfallsprozess mit Zwang. Wo der natürliche Zusammenhalt einer Kulturnation abgeschafft wurde und die Schaffung einer Willensnation gescheitert ist, kann nur durch staatliche Gewalt ein Mindestmaß an Ordnung geschaffen werden. So werden zum Beispiel in den letzten Jahren Verweigerer von Sprach- und Integrationskursen mit zunehmenden Sanktionen belegt. Noch viel härter wird gegen Deutsche vorgegangen, die den Umbau zur Willensnation aufhalten oder auch nur kritisieren wollen.

Hier nutzt der Staat ein Instrument als Hebel, das eigentlich zu einem gegenteiligen Zweck geschaffen wurde: Der Verfassungsschutz sollte ursprünglich die Freiheit Deutschlands gegen extremistische Bestrebungen sichern und ist heute selbst zu einem Instrument des Zwanges geworden.